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Der Bundespräsident: Im Bad überfordert. Über Präsuppositionen.

Der Bundespräsident: Im Bad überfordert. Über Präsuppositionen. published on 6 Kommentare zu Der Bundespräsident: Im Bad überfordert. Über Präsuppositionen.

Als Präsuppositionen werden in der Sprachwissenschaft, grob gesagt, Voraussetzungen dafür bezeichnet, daß ein Satz sinnvoll geäußert werden kann. Man findet sie an unterschiedlichen Stellen, häufig abhängig von bestimmten Wörtern. So führt z.B. aufhören eine Präsupposition ein, die man u.a. daran erkennt, daß die Frage (1) gemeinhin als unfair empfunden wird:

(1) Haben sie aufgehört, ihre Frau zu schlagen?

In (1) scheint die Unterstellung, der angesprochene habe seine Frau geschlagen, zwingend enthalten zu sein. Das liegt an einer der interessanten Eigenschaften, die Präsuppositionen meist haben (oft wird sie als das definierende Kriterium betrachtet): Präsupponiert ein Satz S etwas, so wird auch der Satz nicht S dasselbe präsupponieren. Und darin liegt bereits eine der Schwierigkeiten, die sich an dieses Phänomen knüpfen: Eine Präsupposition kann nicht einfach als von dem Satz, zu dem sie gehört, impliziert betrachtet werden, denn sonst ließe sich auf die unbedingte Gültigkeit jeder Präsupposition schließen. Denn wenn sowohl "wenn S dann P" gilt als auch "wenn nicht S dann P", für beliebige Sätze S und P, dann gilt (im Rahmen der klassischen Logik) auf jeden Fall P. Denn "S oder nicht S" gilt immer, und sowohl aus "S" als auch aus "nicht S" läßt sich auf "P" schließen, womit "P" in jedem Fall gilt.

Stattdessen betrachtet man Präsuppositionen also oft als Voraussetzungen (das ist ja auch die Bedeutung des Wortes) die erfüllt sein müssen, damit etwas sinnvoll gesagt werden kann. Ist eine Präsupposition eines Satzes in einer bestimmten Äußerungssituation nicht erfüllt, so betrachtet man den Satz weder als wahr noch als falsch, sondern eher als unpassend oder unangebracht. Das ist auch etwa das, was einem zu (1) einfällt, sofern man davon ausgeht, daß der Angesprochene nie seine Frau geschlagen hat - oder daß er keine Frau hat (denn auch dies - daß er eine Frau habe - ist eine Präsupposition von (1)).

Nicht nur bestimmte Wörter können Präsuppositionen einführen; manche Konstruktionen können es auch. So z.B. (für weitere Beispiele wäre ich dankbar!) die sogenannten Spaltsätze:

(2) Es war im Jahr 1776, daß die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Unabhängikeit erklärten.

Präsupponiert wird dabei der Inhalt des daß-Satzes.

Ein weiterer interessentanter Präsuppositionseinführer ist der bestimmte Artikel. Man vergleiche eine Äußerung des Satzes in (3) zum heutigen Zeitpunkt mit einer Äußerung desselben Satzes vor zwei Wochen.

(3) Der Bundespräsident ist mit seinem Amt überfordert.

Der bestimmte Artikel präsupponiert die Existenz eines im Kontext eindeutig bestimmten Elementes der Menge, die durch die Nominalkonstruktion, mit der er steht, bezeichnet wird. Als unser Land vor zwei Wochen noch wehmütig der Wahl eines neuen Präsidenten zu harren hatte, da war die Präsupposition nicht erfüllt. Auch bei (3) sieht man, daß die Präsupposition im Fall der Negation des Satzes erhalten bleibt.

(3') Der Bundespräsident ist mit seinem Amt nicht überfordert.

Interessant ist nun, daß, während man (3) und (3') vor zwei Wochen eher als unangemessen denn als falsch eingestuft hätte, (4) zu diesem Zeitpunkt viel eher als falsch eingestuft worden wäre.

(4) Der Bundespräsident hat gestern mit mir gebadet.

Bisher hat man meines Wissens keine befriedigende Theorie, um diesen Unterschied zu erklären; eine Arbeitshypothese (die ich noch nicht näher untersucht habe) wäre, daß ein Zusammenhang herzustellen ist zwischen den Präsuppositionsdaten zu (3) und (4) und dem Umstand, daß (3) dem Bundespräsidenten einen Zustand zuschreibt während (4) ihm eine Rolle im Rahmen eines Ereignisses (des Bades mit mir) zuschreibt. Der Unterschied wäre dann dadurch zu erklären, daß Ereignisse 'empirische Entitäten' sind, während Zustände es nicht sind. Gemeint ist das so: Um den Wahrheitswert von (4) zu ermitteln hat man zwei Möglichkeiten (womit nicht gemeint ist, daß diese tatsächlich umsetzbar seien): Man kann (i) den Bundespräsidenten ausfindig machen und überprüfen, ob dieser am Vortag ein Bad mit mir genommen hat oder (ii) alle Bade-Ereignisse des Vortags ausfindig machen, an denen ich beteiligt war, und überprüfen, ob an einem von diesen der Bundespräsident beteiligt war. Um den Wahrheitswert von (3) zu ermitteln bietet sich dagegen nur die Möglichkeit, erst den Bundespräsidenten ausfindig zu machen und dann zu überprüfen, ob dieser mit seinem Amt überfordert ist. Intuitiv wirkt es darum so, als ob dem Ausfindigmachen des Präsidenten bei der Beurteilung von (3) eine größere Bedeutung zukomme als bei der Beurteilung von (4). Im Fall von (4) kann man ja von Möglichkeit (ii) Gebrauch machen und muß dann gar nicht mehr den Präsidenten ausfindig machen, sondern nur nachweisen, daß keiner von denen, die mit mir gebadet haben (falls es überhaupt welche gibt), ein/der Bundespräsident war.

Wie gesagt, daß ist nur eine vage Arbeitshypothese. Ich habe noch keine Ahnung, wie man sie vernünftig präzisieren könnte, und ebensowenig weiß ich, ob sie der Konfrontation mit weiteren Daten lange standhalten wird. Für jede Art von Kritik bin ich darum dankbar.

6 Kommentare

In der Wikipedia findet sich unter dem Stichtwort Kennzeichnungstheorie ein interessanter Ansatz zu der Frage:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kennzeichnung#Russell

Demnach lässt sich das eben so analysieren: Es gibt mindestens einen Bundespräsidenten und dieser ist (ggf. nicht) mit dem Amt zufrieden. Dieser Satz wäre falsch. Ebenso falsch wie das mit dem Bad.

Halten Sie das für eine befriedigende Lösung? Ich weiß nicht sicher. Jedenfalls ist dieser Blog ein ungemeines intellektuelles Vergnügen, danke sehr.

Guter Punkt; ich hatte mir beim Schreiben überlegt, ob ich das unterbringen soll, habe mich dann aber doch für einen rein präsuppositionalistischen Standpunkt entschieden.

Die Kennzeichnungstheorie erlaubt im Prinzip zwei unterschiedliche Lesarten für den Satz (3'):

\(\)

und

\(\)

Die letztgenannte wäre falsch, wenn kein eindeutig bestimmter Bundespräsident existiert (also keiner oder mehr als einer), die erstgenannte wäre dann wahr. Die erste Formel besagt soviel wie: Es gibt keinen Bundespräsidenten oder mehr als einen oder der Bundespräsident ist mit seinem Amt nicht überfordert.

Man kann das so analysieren, und diese Herangehensweise hat den Vorteil, daß sie die 'Wahrheitswertlücken' schließt: Es ist wieder jeder Satz wahr oder falsch. Die Theorie sagt im Prinzip, daß Präsuppositionen im oben beschrieben Sinn nicht existieren (jedenfalls nicht in Verbindung mit dem definiten Artikel). Deswegen habe ich den Standpunkt des Posts auch als "präsuppositionalistisch" bezeichnet.

Halten Sie das für eine befriedigende Lösung? Ich weiß nicht sicher.

Die Frage ist, ob sich diese Analyse auch mit den Intuitionen trifft, die man bei solchen Sätzen allgemein hat, und die sie sich beispielsweise darin zeigen, daß man eben oft dazu tendiert, Sätze wie (3) und (3') als weder wahr noch falsch, sondern als irgendwie unangebracht oder verfehlt zu betrachten. Die Kennzeichnungstheorie bildet das zunächst nicht ab.

Jedenfalls ist dieser Blog ein ungemeines intellektuelles Vergnügen, danke sehr.

Ich danke ebenfalls.

Die erste Formel besagt soviel wie: Es gibt keinen Bundespräsidenten oder mehr als einen oder der Bundespräsident ist mit seinem Amt nicht überfordert.

Der Eindeutigkeitsquator trifft auf die Zeit der Vakanz des Amtes nicht zu, ja, aber warum sagt deshalb die erste Formalisierung aus, dass dieser nicht überfordert (oder unzufrieden oder sonstwas, es kommt ja nur auf das Prädikat an) ist? Im Zweiten Satz steht ein Negator vor diesem Prädikat, oder hab ich was übersehen (das Prädikat ist ja zweistellig)? Okay, man merkt mir wohl leider an, dass ich mich lange nicht mehr mit Prädikatenlogik befasst habe, Asche auf mein Haupt also.

Ich danke ebenfalls.

Das ist überhaupt nicht notwendig, das Vergnügen, dass Sie diesen Blog jetzt sogar fortsetzen ist mir Dank genug.

Verzeihung, ich habe einen Fehler gemacht; Sie haben Recht. Ich habe das, was ich ausdrücken wollte, fehlerhaft abgekürzt:

\(\)

ist nicht die korrekte Analyse für "Der Bundespräsident ist überfordert" nach der Kennzeichnungstheorie. Was die Aussage ausdrückt ist, daß es genau eine überforderten Bundespräsidenten gibt. Sie wäre also auch dann wahr, wenn es zwei oder mehr Bundespräsidenten gäbe, sofern nur einer davon überfordert wäre. Was tatsächlich gewünscht ist, ist

\(\)

Das besagt jetzt, daß es genau einen Bundespräsidenten gibt (d.h. ein Objekt, sodaß alle Objekte, sofern sie Bundespräsidenten sind, damit identisch sind) und dieser überfordert ist.

Und dann trifft zu, was ich behauptet habe: Die Aussage ist falsch, wenn es nicht genau einen Bundespräsidenten gibt (also keinen oder mehr als einen) oder aber der Bundespräsident nicht überfordert ist.

Vielen Dank fürs Nachhaken! Man macht leicht was falsch, wenn man mit Abkürzungen nicht aufpaßt.

Asche auf mein Haupt

Wohl eher auf meins.

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