Der Vorwurf der Heuchelei, gerichtet an diejenigen, die am Karfreitag zwar tanzen, den Status des Tags als gesetzlicher Feiertag aber belassen wollen, ist dann interessant, wenn er auf die Frage bezogen ist, ob es dem Staat zuzugestehen sei, gesetzliche Feiertage überhaupt festzusetzen. Verbunden sind damit immerhin weitgehende Arbeitsverbote, die man vielleicht mit gutem Grund als letztlich schwerwiegender ansehen könnte, als es das Tanzverbot ist.
Eine andere Form dieses Vorwurfs basiert jedoch auf dem Argument, daß Karfreitag ein christlicher Feiertag sei, an dem sich ungehemmtes Abdancen aufgrund der religiösen Bedeutung des Tags nicht schicke, und daß es somit Heuchelei sei, diesen Feiertag zwar zu wollen, das jedoch in der Absicht, ihn zum Tanzen zu nutzen. Es ist recht interessant, welche Annahmen man benötigt, um den Vorwurf in dieser Form zu rechtfertigen. Das will ich im Folgenden kurz untersuchen.
Zunächst wäre zu klären, was unter Heuchelei zu verstehen ist. Die Wikipedia liefert folgende Kurzdefinition:
Heuchelei (Hypokrisie) bezeichnet ein moralisch negativ besetztes Verhalten, bei dem eine Person nach außen hin ein Bild von sich vermittelt, das nicht ihrem realen Selbst entspricht.
Oft wird heucheln transitiv verwendet. Man heuchelt dann etwas, etwa Mitleid, Religiosität, Keuschheit oder Appetit. Das Geheuchelte entspricht dabei dem in der Definition erwähnten Bild, das die Person nach außen hin von sich vermittelt, während sie innerlich oder unter Ausschluß der Öffentlichkeit dem Bild nicht entspricht, weil sie etwa schadenfroh ist, Gott lästert, herumhurt oder das vorgesetzte Essen verabscheut. Was ist es nun, das von denen geheuchelt werden könnte, die am Karfreitag tanzen wollen, gleichzeitig aber den gesetzlichen Feiertag beibehalten möchten? Zwei Möglichkeiten sind unmittelbar offen:
(1) Sie heucheln, daß sie Karfreitag als gesetzlichen Feiertag beibehalten möchten.
(2) Sie heucheln, daß sie das Tanzverbot am Karfreitag aufgehoben sehen und tanzen möchten.
Weder (1) noch (2) ergibt dabei den geringsten Sinn. Ein Anlaß, ohne weitere Anhaltspunkte zu unterstellen, daß die in Frage stehenden Personen das, was sie unmittelbar fordern, gar nicht durchweg meinen, bestünde nur dann, wenn ein deutlicher Widerspruch zwischen ihren Forderungen festzustellen wäre, hier also zwischen (1) und (2). Einen Feiertag ohne Tanzverbot zu fordern ist aber offensichtlich nicht in sich widersprüchlich, was u.a. durch zahlreiche Feiertage ohne ein solches nahegelegt wird.
Man muß also etwas tiefer gehen, um die Begründung des Heucheleivorwurfs aufzuspüren. Da Feiertage ohne Tanzverbot existieren, muß die Begründung auf jeden Fall mit besonderen Eigenschaften des Karfreitags zusammenhängen. Es liegt nahe, zu vermuten, daß hinter diesem Tanzverbot ursprünglich ein Pietätsgedanke steht, demzufolge allzu ausgelassenes Feiern am Todestag Jesu Christi als unpassend anzusehen ist. Wenn wir annehmen, daß dieser Gedanke für jeden gläubigen Christen verbindlich zu sein muß (was ich nicht so sehe, da ich dergleichen Entscheidungen dem Gewissen des einzelnen Gläubigen überlassen würde) so können wir zumindest feststellen, daß eine Forderung nach der Aufhebung des Tanzverbots, zumindest im Verein mit dem Wunsch, auch selbst zu tanzen, zu dem Schluß führt, daß christliche Gläubigkeit bestenfalls geheuchelt sein kann. Bestenfalls - denn wer gar nicht versucht, das Bild eines gläubigen Christen nach außen hin zu vermitteln, dem wird man kaum vorwerfen können, Gläubigkeit zu heucheln.
Wie es scheint, sind wir also der Begründung des Heucheleivorwurfs noch kein Stück näher gekommen. Dieser könnte bestenfalls dann aufrecht erhalten werden, wenn die Begründung derer, die den Feiertag erhalten wollen, dessen religiöse Bedeutung ins Feld führte. Auch wo das der Fall ist, kann man über die Berechtigung des Vorwurfs noch streiten; wo es nicht der Fall ist, so scheint es, nicht einmal das. Somit entsteht der Eindruck, daß der Vorwurf der Heuchelei nur dann gehalten werden kann, wenn man es als prinzipiell unmöglich ansieht, für die Beibehaltung des Feiertags aus anderen als religiösen Gründen zu sein. Man hätte also entweder aus religiöser Überzeugung für den Feiertag Karfreitag zu sein oder gar nicht. Das wiederum steht aber offenbar im Widerspruch zum Status des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag; diesen Status hat der Tag nämlich nicht aufgrund seiner religiösen Bedeutung, sondern aufgrund eines Gesetzes. Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß der ursprüngliche Grund des Gesetzes die religiöse Bedeutung des Tages war. Selbstverständlich war sie es. Aber weder ist die religiöse Bedeutung eine notwendige Bedingung für den Status des gesetzlichen Feiertags (wie es z.B. der Tag der Arbeit und der Tag der deutschen Einheit bezeugen), noch ist sie eine hinreichende Bedingung, was der Umstand belegt, daß nicht jeder kirchliche Feiertag in jedem Bundesland ein gesetzlicher Feiertag ist. Dergleichen Abhängigkeiten wären auch im deutschen Recht, das ja doch einige mutige und anerkennenswerte Schritte in Richtung Säkularisierung gewagt hat, ganz unerhört. Die religiöse Bedeutung eines Tages kann also nicht dessen Status als gesetzlicher Feiertag konstituieren, was eben nur ein Gesetz kann. Und ein Gesetz kann diesen Status auch ganz unabhängig von der religiösen Bedeutung eines Tages konstituieren.
Die Frage nach dem Status des Karfreitags als Feiertag ist also keine Frage der religiösen Bedeutung, wenngleich diese natürlich für jede einzelne Person als Begründung der eigenen Position zulässig ist, sondern eine Frage des kodifizierten Rechts, und es ist im deutschen Recht nicht vorgesehen, daß die Berechtigung zu bestimmten Aufassungen darüber, wie die deutschen Gesetze aussehen sollten, den Ausweis irgendeiner religiösen Haltung voraussetzt. Damit ist aber der Schluß von der Forderung nach Beibehaltung des Feiertags auf eine religiöse Begründung derselben ausgeschlossen, und somit im Allgemeinen auch der Vorwurf der Heuchelei. Anders ausgedrückt: Es steht jedem deutschen Bürger frei, für die Beibehaltung eines gesetzlichen Feiertags aus religiösen Gründen, aus Gründen der Tradition, aus Rücksichtnahme auf diejenigen, für die der Tag religiöse Bedeutung hat oder einfach aus Freude am freien Tag zu sein, da dies ausschließlich eine Frage der deutschen Gesetze ist und keine Frage der Religion. Der Heucheleivorwurf unterstellt ohne Anlaß, daß die religiöse Begründung für den Status als Feiertag die einzig zulässige sei, daß mithin all die, denen die religiöse Bedeutung des Tages gleichgültig ist, kein Mitspracherecht besitzen, was den Feiertagstatus angeht. Weder eine Meinung zur deutschen Gesetzgebung noch ein Mitspracherecht hinsichtlich ihrer Ausgestaltung setzt aber bestimmte religiöse Auffassungen voraus, weshalb diese nur dort unterstellt werden sollten, wo sie explizit geäußert werden. Selbst in diesen Fällen ist fraglich, ob der Vorwurf der Heuchelei an die Adresse jener, die am Karfreitag gern eine Menuett zelebrieren möchten, gerechtfertigt wäre. An die Adresse jener gerichtet, die gar keine religiöse Begründung ihrer Position anführen, ist er schlicht eine Unverschämtheit.
2 Kommentare
"Der Vorwurf der Heuchelei, gerichtet an diejenigen, die am Karfreitag zwar tanzen, den Status des Tags als gesetzlicher Feiertag aber belassen wollen, ist dann interessant, wenn er auf die Frage bezogen ist, ob es dem Staat zuzugestehen sei, gesetzliche Feiertage überhaupt festzusetzen."
Naja, wieso nicht?
Das ist keineswegs ein Bruch mit den Säkularismus. Bei Nationalfeiertagen oder bei Feiertagen, die gewissermaßen als Selbstzweck gewährt werden (Tag der Arbeit?), sieht man das deutlich.
Wobei ich mich frage, ob es sowas wie selbstzweckhafte Feiertage überhaupt gibt oder ob eine Gesellschaftlich nicht immer Gründe dafür hat, die Arbeit niederzulegen.
"Einen Feiertag ohne Tanzverbot zu fordern ist aber offensichtlich nicht in sich widersprüchlich, was u.a. durch zahlreiche Feiertage ohne ein solches nahegelegt wird."
Ist denn jede selbstwidersprüchliche Forderung geheuelt? Das mag für die Forderung nach Keuschheit gelten, wenn man sich selbst nach einem erfahrenen, wilden, [adjektiv spar ich mir ;-)] Partner sehn oder für die Forderung nach einem Recht, dessen Gebrauch man aber für unmoralisch halten würde.
Aber was ist mit dem romantischen Utopisten, der zwar Fordert, alle sollen für die Gemeinschaft arbeiten, dies aber unaufgefordert, weil sie es ohne jeden Druck tun sollten?
Ist umgekehrt jede Heuchelei selbstwidersprüchlich?
"Aber weder ist die religiöse Bedeutung eine notwendige Bedingung für den Status des gesetzlichen Feiertags (wie es z.B. der Tag der Arbeit und der Tag der deutschen Einheit bezeugen), noch ist sie eine hinreichende Bedingung, was der Umstand belegt, daß nicht jeder kirchliche Feiertag in jedem Bundesland ein gesetzlicher Feiertag ist."
Die meisten Menschen handeln aber aus einem bestimmten Grund.
Man kann davon sprechen, wenn man die Geschichte und fremde Völker studiert, dass z. B. die Amerikaner zahlreiche Feiertage haben (die dort einen anderen Stellenwert haben, btw), bei denen es darum geht, einer bestimmten Sachen zu gedenken. Auch die religiösen Feiertage, dienen zumeist dazu. Ob Anfang der Fastenzeit, Ende der Fastenzeit usw.
Immer geht es eigentlich um eine Art kollektive Erinnerung. Insofern ist eine Kritik der Feiertage sehr wohl eine Kritik der "Erinnerungskultur".
Schreibe ich ja auch noch. Es ging mir um Folgendes: Manche Feiertage sind mit einem Tanzverbot belegt, aber alle mit Arbeitsverbot. Man kann letzteres mit guten Gründen als einschneidender empfinden als ersteres. Ein wenig schwerwiegendes Verbote abzulehnen während man ein schwerwiegenderes gutheißt, wäre dann die Heuchelei.
Nein, denke ich nicht. Aber zur Heuchelei gehört der Widerspruch zwischen vermitteltem Bild und innerer Einstellung. Mag sein, daß es selbst dann, wenn es widersprüchlich wäre, nicht zur Heuchelei reicht. Aber wenn es das nicht ist, scheint mir, ist es ganz sicher keine.
Selbstwidersprüchlich trifft es nicht ganz. Es geht, wie gesagt, um den Widerspruch zwischen innen und außen (oder auch zwischen öffentlich und privat).
Ja, aber das kann doch nicht verpflichtend sein. Wenn jemand am Karfreitag nicht des Todes Jesu gedenken will, weil ihn das nicht interessiert, ist das seine Sache. Ich glaube auch nicht, daß diese Art von Besinnung durch das Tanzverbot verstärkt stattfindet.