Beim deutschen Knigge-Rat hält man - und ich würde wetten, daß das dem Freiherrn niemals hätte passieren können - Ilse Aigner (das ist unsere Ministerin für Destruentenschutz, die mächtige Gegenspielerin von Facebook und Google) offenbar für eine potentielle Trendsetterin. Denn die hat ja kürzlich erst die Neuerfindung des Rades gefordert, nämlich
einen Ehrenkodex, eine Art Knigge für das Internet, zehn goldene Regeln – kurz, knapp und klar.
So wird sie in dieser Pressemitteilung des deutschen Knigge-Rats zitiert, in der man zwölf tolle Regeln vorstellt, die man fürs gemeinsame Abhängen in diesen neuartigen sozialen Netzwerken -- ja, was eigentlich? Aus den tatsächlichen Gegebenheiten erschlossen hat? Oder einfach erfunden? Das habe ich mich gefragt.
Darüber, daß für den Knigge-Ratsherrn Rainer Wälde der Übergang vom 19. Jahrhundert ins Informationszeitalter anscheinend einigermaßen diskontinuierlich vonstatten ging, hat sich Torsten Kleinz hier schon hinreichend lustig gemacht. Wälde weisheitet nämlich, die social networks übernähmen
die Funktion der Dorflinde, unter der sich früher die Bewohner zum täglichen Austausch getroffen haben.
Nun gut!
Die Ratsherrin Agnes Jarosch hingegen äußert sich wie folgt:
Menschliche Beziehungen sind vielseitig. Wir haben nicht nur "Freunde" in unserem Netzwerk, sondern auch Bekannte, Verwandte, Nachbarinnen, Lehrer, Chefs, Kollegen, Weggefährten, Leidensgenossinnen, Seelenverwandte und Geschäftspartner. Diese Vielseitigkeit gilt es zu erhalten und nicht zu normieren, weil eine Plattform es uns vorschreibt.
Ich bin ja selbst gar nicht so besonders facebooky, vielleicht irre ich mich da also total. Aber mein Eindruck war doch, daß es bei Facebook kein großes Problem ist, daß man seine Bekanntschaften nicht exakt kategorisieren kann, um sie individuell als Bekannte, Verwandte, Nachbarinnen, Lehrer, Chefs, Kollegen, Weggefährten, Leidensgenossinnen, Seelenverwandte und Geschäftspartner zu adden, sondern sie stattdessen unter Freunde subsumiert, was dann aber nicht heißt, daß man sich auch im meat space als befreundet ansehen muß, aber das ist ja auch beiden Parteien immer völlig klar. Man akzeptiert einfach, daß das bei Facebook so heißt und nimmt es nicht so ernst. "Freund" bedeutet da eben "Kontakt". Und, wer hätte das gedacht, Millionen von Nutzern, dieser Zumutung zum Trotze.
Ja, vielleicht sehe ich das falsch. Vielleicht gibt es noch genug Geschäftsleute der alten Schule und so, die es trotzdem als unhöflich empfinden würden, von ihren Angestellten oder Kollegen als Freunde hinzugefügt zu werden. Aber was zur Hölle machen die dann bei Facebook?
Wenn ich das allerdings richtig sehe, dann hat man sich wohl beim Knigge-Rat gedacht, mit dem Namen Knigge im Rücken könne man alles Deskriptive beiseite stellen und sich ganz darauf konzentrieren, die Idee der Destruentenschutzministerin umzusetzen, indem man eine Regel herbeiwillkürt, an die sich keiner je gehalten hat, keiner hält, und mit der man dementsprechend wohl auch stilecht untergehen wird.
Wenn das der Freiherr wüßte.